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Der Wolf in Shorts



Die Wolken über den Palmen schimmerten blau. Künstlich wie Zuckerwatte, dachte Christophe und überlegte, ob Disney sie angemalt habe. Die Büsche, die den Poolbereich umrandeten, waren trotz siebenunddreißig Grad saftig grün. An der Treppe stand ein kleiner Junge und weinte. Auf der anderen Seite sprangen zwei Halbstarke immer wieder grölend ins Wasser.
„Mir ist langweilig“, maulte seine Begleitung Sylvie. „Und ich habe Durst. Können wir endlich gehen?“
Er kramte seine Kreditkarte aus der neben ihm liegenden Hose und sagte nur: „Hol dir was!“
„Du kommst nicht mit?“
„Nein.“
„Wir liegen jetzt schon zwei Tage hier am Pool rum. Können wir nicht mal was anderes unternehmen? Wieso gehen wir nicht in einen Park?“
„Dann geh doch.“
„Alleine? Oh ja, das ist ja voll romantisch.“
„Vielleicht kannst du ja jemanden aufreißen.“
„Du bist so ein Arsch“, zischte sie, griff sich die Kreditkarte und ging.
Er lehnte sich zurück und beobachtete die Leute weiter. Zwei Mädchen mit ihrem Opa kamen an den Pool. Christophe schaute genauer hin und erkannte den Mann, den er sich seit drei Monaten von Fotos eingeprägt hatte.
So eine Scheiße: Kinder!, dachte er. Was hatte er denn erwartet, wenn er einen Job in Disneyland annimmt? Dass Julius Marcelleus allein mit Bodyguards Urlaub macht? Er versuchte, die Kinder zu ignorieren.
Marcelleus zog sich und den Mädchen die T-Shirts aus und ging mit den beiden in den Pool.
Apropos Bodyguards. Christophe schaute sich kurz um und entdeckte den muskulösen Mann mit Sonnenbrille auf dem Liegestuhl gleich am Pooleingang. „Keiner hat gesagt, dass es einfach wird.“ Er zog sich seine Hose an und ging zum Foodcourt.

*

„Hey Süße.“
Sie zog an ihrem Strohhalm.
„Wir gehen morgen in den Park“, versuchte er sie zu beruhigen. „Ich gehe gleich zur Rezeption und hole Tickets.“
„Meinst du, du schaffst das?“
„Ja, das wird schon gehen“, sagte er.
„Was ist mit deiner Rippe“, fragte sie.
„Klar, tut die weh. Mein Auge auch. Aber da muss ich wohl durch. Geh doch schon mal ins Zimmer und bestell uns eine Pizza, okay?“
Sie stand auf und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Ist gut.“


Als er an den Pool zurückkam, war Marcelleus mit Anhang dabei, zu gehen. Perfektes Timing, dachte er und folgte ihnen.
Die Kinder rannten die Außentreppe rauf zu einem Zimmer, wo ihnen ein Pärchen aufmachte. Marcellues grüßte und ging dann allein ins Zimmer nebenan. Der Bodyguard patrouillierte noch zweimal an beiden Zimmern, bevor auch er in einem weiteren Zimmer verschwand.
„Zimmernummer 2214 und 2215“, merkte sich Christophe. Auf dem Weg zu seinem Zimmer lief er an Schildern mit der Aufschrift „Danger – alligators and snakes in area“ vorbei und überlegte, ob Disney diese wegen dem Flair aufgestellt hat, oder ob im Tümpel hinter den Büschen wirklich tödliche Tiere lauern.

*****

Sie standen erst eine Viertelstunde in der Warteschlange der Peter-Pan-Bahn, als die Kulissen von Fenstern, in die man hineinschauen konnte, Christophe an endlose Observationen erinnerten. Man lauert auf den Dächern, erkennt Silhouetten von Personen, beobachtet und wartet.
„Hey!“ Sylvie stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen.
„Aua!“
„Sorry, aber hör auf zu träumen“, rief sie ihm zu. „Es geht weiter.“
Sie kamen in einen Raum, wo die Schatten der Wartenden an die Wand geworfen wurden. Dazu wurden Schatten von Schmetterlingen projiziert, welche auf den ausgestreckten Händen der Besucher landeten. Sylvie kicherte, als ein Schmetterling auf ihrem Handschatten landete.
„Es kitzelt fast in echt“, gluckste sie fröhlich.
Christophe sah, wie sein Schatten größer wurde. Doch es war nicht seiner. Da ist jemand hinter mir. Er duckte und drehte sich gleichzeitig. Nicht getroffen, du Bodyguard. Dann schoss er hoch und griff mit ausgestreckter Hand die Kehle … Christophe hielt inne und starrte in die verwirrten Augen des Besuchers, der hinter ihm langlaufen wollte. „I'm sorry“, sagte er leise und ließ den Mann los.
„You’re crazy“, raunte der Mann und ging weiter.
Sylvie bemerkte, dass er an allen Schattenspielenden vorbei ging und rief: „Hey, der drängelt ja vor.“
„Lass gut sein“, versuchte Christophe sie zu beruhigen.
„Aber der hat voll vorgedrängelt“, nörgelte sie weiter.
„Lass ihn einfach.“
„Nur weil der größer ist als du?“
„Ja genau, und schwarz.“
„Bist du Rassist, oder was?“
„Wenn ich Rassist wäre, würde ich ihn nicht vorlassen, sondern weghaben wollen.“
„Du bist so ein Weichei!“
Er verdrehte die Augen und sagte lächelnd: „Ja klar, du Schlampe.“

*

Christophe saß am Pool und wartete auf Sylvie. Er schaute sich das Treiben am Gebäudekomplex zwei an. Rot-weißes Flatterband an den Treppen signalisierte, dass der zweite Stock gesperrt war. Aufgeregte Urlauber diskutierten und meckerten unten, Polizisten trugen im Obergeschoss Koffer von einem Zimmer zum anderen.
„Du lässt mich einfach mit denen allein“, rief sie schon von weitem.
Er setzte sich hin und ließ sie kommen.
„Ich bin noch nie verhört worden.“
„Warum hat das so lange gedauert“, fragte Christophe.
„Die haben sich nicht gerade beeilt“, zischte sie und setzte sich. „Wieso fragst du so blöd, du hast das doch mitbekommen.“
„Ja, schon. Interessiert mich halt, was die dich so gefragt haben.“
„Die haben alle Koffer durchwühlt und wollten wissen, was wir gestern Abend gemacht haben.“
„Und?“
„Ich glaube, am liebsten hätten sie dein benutztes Kondom untersucht.“
„Wieso hast du es ihnen nicht gegeben?“ Christophe lachte, seine Rippe schmerzte.
Sylvie hob sein T-Shirt hoch. „Ist das größer geworden? Das sah doch letztens schon viel besser aus.“
„Das wird schon“, wehrte er ab und zog das T-Shirt wieder runter.
„Ach, das sehe ich ja jetzt erst, was ist denn mit deinem Bein?“
„Was soll damit sein?“
„Du hast da eine richtige Wunde.“
„Ja, du weißt doch, dass ich die Treppe runtergefallen bin.“
„Aber …“
„Lass“, unterbrach er sie. „Wollen wir noch was essen? Vielleicht fahren wir noch nach Orlando rein und essen mal was anderes, als das Zeug hier im Hotel. Na, was sagst du?“
„Du bist ein alter Sack. Gib doch einfach zu, dass du nochmal hingefallen bist.“
„Nein. Was ist mit dem Essen?“
„Und jetzt versucht du es mit ‚schick essen gehen‘ zu überspielen und lenkst ab.“
„Und? Hilft es?“
„Ich hol meine Tasche“, grinste sie und stand auf. „Aber nicht, dass du in den zehn Minuten, in denen du auf mich wartest, noch senil wirst.“
„Beeil dich lieber, sonst kommt noch eine Jüngere vorbei.“
„Du altes Arschloch“, rief sie ihm im Gehen zu.

*****

Er wurde durch lautes Klopfen geweckt und schaute auf die Uhr: Zehn nach sieben.
„Was ist los“, fragte sie, ohne die Augen zu öffnen.
Er zog sich schnell seine Badehose an. „Hört sich an wie die Polizei.“ Beim Aufziehen der Tür erkannte er gleich Kommissar Sievers vom Vortag.
„Guten Morgen, Herr Huntner. Wir haben weitere Fragen an Sie, würden Sie bitte mitkommen?“
„Hey Sylvie, wir sollen nochmal mitkommen und Fragen beantworten.“
„Nein, nein“, unterbrach Sievers. „Nur Sie. Das genügt vorerst.“
„Aha. Einen Moment bitte“, sagte Christophe und schloss die Tür. Er gab Silvie einen Kuss: „Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird. Schlaf aus, geh frühstücken, leg dich an den Pool, oder geh in einen Park. Wenn ich zurück bin, rufe ich dich an. Okay?“
„Okay“, grummelte sie und drehte sich im Bett auf die andere Seite.
Dann tauschte er seine Badehose gegen Shorts, legte sein Disney-Armband um und ging mit Sievers mit.

*

Sievers kam nach zwanzig Minuten in den kleinen Meetingraum vom Hotel, baute eine Kamera auf und setze sich.
Christophe ergriff das Wort: „Muss ich mir Sorgen machen? Was ist denn los?“ Noch im Sprechen bremste er sich und hielt die Frage, ob er verdächtigt werde, für sich.
„Wir haben Sie ja gestern schon befragt“, fing Sievers an. „Wir haben nun festgestellt, dass Sie in der Nacht das Hotelzimmer verlassen haben. Daher die erneute Befragung. Wir wollen wissen, was sie gemacht haben.“
„Sie haben festgestellt, dass ich das Hotelzimmer verlassen habe?“
Sievers zeigte auf das Disney-Armband.
„Ach so“, bemerkte er verwundert. „Da ist also ein GPS drin?“
„Nein, aber das Hotel registriert jede Türöffnung auf den Armbändern“, antwortete Sievert. „Also, warum haben Sie Ihr Hotelzimmer verlassen?“
Er überlegte laut: „Nicht letzte, sondern vorletzte Nacht.“
„Ja, genau.“
„Ich glaube, da bin ich mitten in der Nacht aufgewacht. Ich kann mich aber nicht erinnern, warum.“
Sievert wartete.
„Ich konnte dann nicht mehr einschlafen und wollte meine Freundin nicht wecken. Daher habe ich mir mein Buch geschnappt, bin rausgegangen, habe mir eine Bank gesucht – der Poolbereich hatte ja geschlossen - und habe mir eine Zigarette angesteckt.“
„Wie lange waren Sie da?“
„Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Aber es waren mehrere Zigaretten. Die Nachtluft war so schön. Kann schon zwei Stunden gewesen sein. Vielleicht länger.“
„Das stimmt“, murmelte Sievers und sagte dann laut: „Haben Sie etwas Auffälliges bemerkt?“
„Etwas Auffälliges? Was könnte das sein?“, sagte Christophe und dachte dabei: Das stimmt? Das bedeutet, sie haben die Türöffnungen getrackt, oder das Armband hat doch GPS.
„Personen. Lärm. Geräusche. Oder ähnliches.“
„Da war ein knutschendes Pärchen und einige Personen unterwegs.“
„Können Sie die genauer beschreiben?“
„Sie war blond, jung – schätze um die zwanzig. Er dunkelhaarig, etwas älter.“
„Und die anderen?“
„Einer – Mitte dreißig würde ich sagen – hat eine Zigarette geschnorrt. Die, die vorbeigelaufen sind, habe ich nicht so gut gesehen, oder ich kann mich nicht erinnern. Weiter hinten lief einer mit einem Kapuzenshirt rum.“
„Mit Kapuzenshirt?“ Sievers wurde neugierig.
„Ja. Ich dachte noch, dass es so kalt nun wirklich nicht ist.“
„Wie sah der aus?“
„Das kann ich nicht sagen, der war viel zu weit weg.“ Christophe hielt inne. Er hatte genug gesagt.
Sievers sah enttäuscht aus. Nach einer Weile stand er auf und ging zur Tür. „Sie können dann gehen. Wie geht es eigentlich Ihrem Auge?“
Jetzt kommt das eigentliche Verhör, dachte Christophe und sagte: „Schon ganz gut. Der Sturz ist ja auch schon etwas her.“
„Ihre Freundin hatte erzählt, was sie darüber wusste. Wann war der Unfall?“
„Gleich als wir angekommen sind, wollte ich beide Koffer auf einmal tragen und auf der vorletzten Stufe blieb ein Riemen im Geländer hängen“, sagte Christophe und stand dabei auf. “Und wie man das kennt, habe ich versucht, den Koffer zu retten und dabei das Gleichgewicht verloren.“
„Tut es noch weh?“
„Alles halb so wild.“
„Wir haben einen Arzt hier. Soll er sich das mal anschauen?“
„Nein Danke. Ich war doch beim Hotelarzt.“
„Das wäre auch kostenlos für Sie, das geht auf unsere Rechnung.“
Christophe überlegte.
„Das wäre eine kostenlose zweite Meinung.“
„Okay. Vielleicht wäre es gut, wenn sich noch ein Arzt das Auge anschaut.“
„Dann kommen Sie bitte hier entlang.“
Christophe folgte Sievers zum Haus zwei in ein leeres Hotelzimmer. Fünf Zimmer weiter hatte Marcellues sein Zimmer gehabt. „Was ist denn eigentlich passiert?“, fragte er Sievers endlich.
„Das haben Sie noch nicht gehört?“
„Nein. Irgendein Überfall?“
„Ein Gast wurde ermordet“, sagte Sievers und zog ein Foto aus der Tasche. „Kennen Sie ihn?“
Es war das gleiche Foto, wie Christophe von seinen Auftraggebern bekommen hatte. „Nein. Ist das jemand, den man kennen müsste?“
Sievers nahm das Foto zurück. „Wahrscheinlich nicht. Bitte.“ Er wies ins Zimmer. „Da ist Doktor Suarez, er wird sich Ihre Wunde mal anschauen.“

*****

Nach zwei Tagen kindlichen Treibens in den Disney-Parks packte Christophe Koffer und Taschen ins Auto, fuhr auf den check-in-Parkplatz und traf Sylvie an der Rezeption. Er zeichnete die offenen Rechnungen gegen, gab die Disney-Armbänder ab und ging mit Sylvie zum Ausgang. Dort stellte sich Sievers ihnen in den Weg.
„Frau Burges, Herr Hantner.“
„Detective Sievers.“
„Hatten Sie einen schönen Aufenthalt?“
„Kurz, aber schön“, sagte Christophe und dachte: Haben dir deine Kollegen, die uns die ganze Zeit beschattet haben, das nicht berichtet?
„Das glaube ich Ihnen. Wenn Sie noch einen Moment Zeit hätten …“ Sievers zeigte in Richtung eines Raumes.
„Unser Flug geht erst heute Abend“, mischte sich Sylvie in das Gespräch ein und lief in den Raum.
Sievers bemerkte Christophes ärgerliches Gesicht.
„Was denn?“, wunderte sie sich. „Du hast doch selbst gesagt, dass wir noch ewig Zeit haben. Und der Detective braucht anscheinend noch unsere Hilfe.“
„Ja, das sagte ich“, lenkte er ein, setzte sich. „Wie können wir helfen?“
„Wie geht es Ihrem Auge?“
„Nicht der Rede wert“, wehrte Christophe ab.
„Nicht der Rede wert?“, rief Sylvie dazwischen. „Er jammert so oft rum, wie weh das tut.“
„Wieso?“, fragte Sievers.
„Morgens und abends steht er vorm Spiegel und heult rum, wie schlimm sein Auge ist. Und hier spielt er plötzlich den starken Mann.“
„Ist er das nicht?“
Sylvie lachte verächtlich. „Vor ein paar Tagen hat sich einer in der Peter-Pan-Bahn vorgedrängelt. Aber der Herr da ließ es einfach zu. Keine Reaktion. Nichts. Anstatt dem Typen was zu sagen, hat er mir den Mund verboten. Ist das zu fassen?“
„Das ist doch nett von ihm.“
„Ja, nett.“
Sievers schaute zu Christophe.
„Was soll ich dazu sagen?“
„Nett ist der kleine Bruder von Scheiße“, murmelte Sylvie halblaut vor sich hin.
Christophe rollte mit den Augen.
„Und Vorgestern hat mir emand mein Eis aus der Hand gehauen,“ wetterte Sylvie weiter. „Absicht oder nicht, ist dabei doch egal. Da muss man doch was sagen dürfen, oder?“
„Ist gut.“ Sievers hob die Hände. „Ich denke, Sie haben meine Fragen beantwortet." Er stand auf. „Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise.“
„Schön wär’s,“ fauchte Sylvie. „Ich muss noch Stunden neben dem Weichei aushalten.“
„Jetzt ist aber gut.“
Sylvie verließ das Zimmer.
„Ist wohl nicht so gut gelaufen, der Urlaub?“, fragte Sievers.
„Sagen wir, ich hatte mir das auch etwas anders vorgestellt.“
„Dann viel Glück!“
Christophe ging zum Auto, wo Sylvie bereits mit den Füßen stampfend darauf wartete, dass er ihr die Tür öffnete. Dann fuhr er mit ihr zum Flughafen und lächelte dabei. Spätestens nächste Woche muss ich mit ihr Schluss machen.

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