Ernst Föhlich > Rush hour

Rush hour



Beim zweiten Startversuch springt der Wagen an. Amela, meine Chauffeurin, fährt langsam los. Nur wenige Meter, bis sie in die nächste Straße rechts einbiegt. Es hat keine besonderen Gründe, dass wir unterwegs sind, einfach nur eine gelassene Runde durch die Innenstadt. Auch den nächsten Straßenabschnitt, welcher sehr kurz ist, lassen wir bis zur nächsten Rechtsabbiegung in sehr gemäßigtem Tempo hinter uns.
Doch dann ist freie Bahn. Meine Fahrerin strapaziert das Gaspedal. Der Anzug drückt mich in den Sitz. Dann plötzlich eine Rechtskurve, sehr scharf, bei hoher Geschwindigkeit. Starkes Abbremsen, leichtes Schleudern, kurzer Stillstand. Ich habe Angstschweiß auf der Stirn, Amela lacht; ein unverschämtes Kichern. Erneute langsame Anfahrt mit zunehmender Beschleunigung. Wir fahren auf nahezu leeren Straßen mit ständig zu hoher Geschwindigkeit zickzackartig durch die engen Gassen des Stadtkerns. Nur wenige Passanten, die uns mit Spannung, ja nahezu Unheil erwartend, vom Gehsteig aus beobachten; einer winkt. Amela lacht, ich schwitze, immer noch vor Angst. Der Wagen legt sich schwer in die Kurven. Millimeterbreites Vorbeigleiten an Straßenecken, Schaufenstern, parkenden Autos und eine Chauffeurin, deren Lachen nur in den Momenten angestrengter, konzentrierter Kurvenbewältigung kurz unterbrochen wird. Plötzlich, wir bewegen uns mit sehr hoher Geschwindigkeit auf eine S- kurvenförmige Straßenführung zu. Wie aus dem Nichts taucht Gegenverkehr auf. Frontale Kollisionsgefahr. Das Reaktionsvermögen von hundertstel Sekunden entscheidet über Leben und Tod. Ein ganz leichter Aufprall, ich öffne die Augen und blicke in zwei lachende Gesichter, Nicole und Oguz, Freunde von Amela. Meine Fahrerin schaut mich an und lacht mal wieder. Menschen und Fahrzeuge unbeschädigt. Wir setzen leicht zurück und unsere Fahrt fort.
Nach diesen Schrecken habe ich Hunger. Ich sage meiner Chauffeurin, sie möge uns zu Mc Drive fahren, aber bitte gesittet. Der Weg ist nicht weit, wir kommen heil an und stellen unser Menu zusammen. Amela will einen Big Mac, Pommes, ich Mc Rib und Cheeseburger, beide große Cola, sie mit viel, ich mit wenig Eis. Um meine Chauffeurin für die Weiterfahrt milde zu stimmen, übernehme ich die Rechnung. Wir parken um die Ecke, essen im Auto. Nachdem das erste Pommes in Amelas Schoß gefallen ist, ermahne ich sie, behutsam zu essen, da die Sitze gerade erst neu bezogen wurden. Kaum gesagt, verrutscht mir der Mc Rib und rote Westernsoße klatscht auf Hosenbeine und Sitzfläche. Amela tut, was sie immer tut, sie lacht. Nachdem geklärt ist, dass ich zwar der Vorgesetzte bin, aber trotzdem den Essensmüll zu entsorgen habe, da sie sich schließlich auf´s Fahren konzentrieren muss, geht es weiter. Wir fahren am Bahnhof vorbei. Die Uhr vom Hauptgebäude zeigt neun Uhr vierzig. Seit fünf Minuten hat die 1B Unterricht. „Amela, Du musst sofort in Deine Klasse!“ rufe ich. „Und sage Deiner Lehrerin, es ist meine Schuld, dass Du zu spät kommst“. Sie huscht hinaus. Ich rolle den Stuhl an den Schreibtisch der Schulstation und trinke einen Schluck, mittlerweile etwas kalt gewordenen, Kaffee.

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