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Wenn Liebe lebt



Karsten saß nur da und regte sich nicht.
„Na los, geh schon zu ihr“, forderte Olaf ihn auf.
Seine Augen wurden trüb.
„Sie hat eindeutig dich gemeint.“
„Ich kann nicht.“
„So einfach hast du selbst als Student damals keine abgeschleppt.“
„Ich kann nicht!“
„Ach was“, winkte Olaf ab. „Ich bestell dir jetzt noch einen Drink.“
„Nein.“
„Und dann gehst du da rüber und machst das gleiche bei ihr: Du bestellst ihr einen Drink. Und dann läuft das schon.“
„Ich kann nicht“, sagte Karsten, stand auf und ging aus der Bar.

***

Karsten hing im Sessel, hatte die Beine auf dem Wohnzimmertisch und das Loch, aus dem der Zeh aus der Socke lugte, war etwas zu klein, so dass sich langsam ein Gefühl von Taubheit ausbreitete.
„Maaan“, brummte er, hievte sich hoch und zog die Socke über den Zeh. Dabei griff er das Whisky-Glas und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Er nahm einen Schluck und suchte die Fernbedienung.
„Man“, sagte er diesmal laut, als er sie hinter seinem Fuß auf dem Tisch entdeckte.
„Dann eben nicht“, grummelte er, schloss die Augen und lehnte den Kopf an. In Gedanken sah er sich in der Bar mit Olaf und die schöne Unbekannte lief an ihnen vorbei. Als sie sich umdreht, erkennt er das Gesicht seiner Frau. Sie lächelt. In dieses Lächeln hatte er sich vor zwölf Jahren verliebt. Karsten lächelte auch.
Nach einer Weile öffnete er die Augen und sah direkt über ihm, an der Decke, einen Spinnenfaden herunterhängen. Sein Blick schweifte umher und er sah Spinnenweben in den Ecken und Kanten. Er setzte sich auf.
Sein Zeh schaute wieder aus der Socke heraus.
Unter dem Schrank entdeckte er Staubflusen. Auf dem Tisch und Boden lagen Pizzaschachteln.
Ich hatte doch letztens erst aufgeräumt, dachte er.
Es klingelte.
Er stand auf und machte die Tür auf.
„Ey Alter, du bist ja noch gar nicht angezogen“, entgegnete ihm Olaf, der sich die Schuhe auszog und im Wohnzimmer den Fernseher anmachte.
Karsten stand fragend in der Tür.
„Na los doch, geh duschen!“, befahl Olaf vom Sessel aus. „Ich werde so lange was gucken.“
„Waren wir heute verabredet?“
Olaf machte den Fernseher leise. „Du bist seit Wochen das Elend in Person. Ich werde nicht zulassen, dass du hier vergammelst. Also werden wir jedes Wochenende ausgehen, bis du wieder bei Sinnen bist.“
"Aber ..."
"Ich weiß. Aber das ist jetzt fast zwei Jahre her. Du hast genug getrauert, glaub mir."
Karsten ging ohne ein weiteres Wort ins Bad.
Nachdem er sich eingeseift und abgespült hatte, stand er bis zu den Knöcheln im Wasser. Er trocknete sich ab, zog sich an und schaute in die Dusche: das Wasser lief immer noch ab. „Drecks-Siphon“, murmelte er. Dann ging er ins Wohnzimmer.

„Ich komme nicht mit.“
„Was?“, monierte Olaf.
„Du willst mich doch nur verkuppeln.“
„Na und? Was ist denn dabei?“
„Meine Frau ist tot.“
„Ja. Genau deshalb will ich dich ja hier rausholen.“
„Mir geht’s gut. Danke, dass du dir Sorgen machst.“
„Komm schon, du musst wieder unter die Leute.“
„Meine Frau ist tot“, sagte Karsten leiser.
„Du kommst mir jetzt nicht mit Good Will Hunting!“
„Kennst Du den Witz, wo …“
Olaf wartete.
„Wo die Frau aus dem Bad kommt und verschmitzt zu ihm sagt: Ich habe mich gerade rasiert, weißt du, was das bedeutet?“
„Nein“, sagte Olaf leicht genervt.
„Daraufhin verdreht er die Augen und sagt: Klar, das bedeutet, dass ich den Siphon wieder sauber machen muss.“
Olaf lächelte kurz. „Oh, du wirst witzig. Das ist gut. Lass uns gehen.“
„Ich komme nicht mit“, sagte Karsten, ging in den Flur und öffnete die Tür. „Bitte geh jetzt!“
„Was?“, entrüstete sich Olaf. „Ich werde Dich an einem Samstagabend nicht mehr allein lassen.“
„Bitte, Olaf!“
„Warum?“
„Danke, dass du mich duschen geschickt hast. Aber ich habe heute noch etwas vor.“
„Na gut“, lenkte Olaf ein. „Aber nur, weil du was vorhast. Alleine abgammeln lasse ich nicht mer gelten.“
„Das geht in Ordnung“, sagte Karsten und reichte Olaf die Hand.
Olaf schlug ein und ging.
Karsten schloss die Tür und blieb einen Moment im Flur stehen. Dann ging er ins Bad und fing an, den Siphon sauber zu machen

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